Orgel
1826 erbaute Johann Friedrich Schulze (1793-1858) aus Paulinzella eine neue Orgel für die nach einem Stadtbrand wiederaufgebaute Stadtkirche. Es ist die erste in Zusammenarbeit mit dem bedeutenden Orgelbautheoretiker Prof. Johann Gottlob Töpfer vollständig neu gebaute Orgel. Sie ist zugleich richtungsweisend für die technischen und klanglichen Neuerungen, mit denen Schulze den Weg zu den musikalischen Ausdrucksmitteln der Romantik eröffnet.
Kennzeichnend sind ein großer, monumentaler Klang des vollen Werkes sowie die dynamische Differenzierung bis zu den sanften, fein ausdifferenzierten Charakterstimmen. Der neue Stil wird durch die Technik unterstützt: geräumige Windladen mit hängenden Ventilen und eine großvolumige Balganlage mit 3 übergroßen Keilbälgen und konischen Windkanälen. Auch architektonisch zeigt die Orgel in dem imposanten, rein klassizistischen Gehäuse ihre Modernität. Geschaffen wurde es nach einem Entwurf des Architekten Clemens Wenzeslaus Coudray und war Prototyp für zahlreiche folgende Prospekte der Schulze-Schule bis Mitte der 1840er Jahre.
Die Orgel hat 25 Register auf 2 Manualen und Pedal mit mechanischen Schleifladen. Sie wurde kaum verändert, neben den Prospektpfeifen gingen nur 2 Register weitgehend verloren. Ihre hohe Authentizität sowie ihre unikate Stellung in der Entwicklung der Werkstatt Schulze und des romantischen Orgelbaus in Thüringen waren Grund für die denkmalgerechte und originalgetreue Restaurierung durch die Bautzener Orgelbauwerkstatt Eule, die im Mai 2023 abgeschlossen wurden.
Wir freuen uns auf Ihr Interesse an diesem bedeutenden Kulturdenkmal in Thüringen.
Heutige Disposition der Schulze-Orgel im Klangbild von 1827
Orgelbauer
Hans Elias Schulze, als Erster aus der Orgelbauerfamilie Schulze mit Lebensdaten nachweisbar, lebte von 1688 bis 1762 in Solsdorf nahe Rudolstadt und arbeitete als Tischler bzw. Orgelbauer. Aus einem Gesuch vom 19. April 1734 an seinen Landesherrn, den Fürsten Friedrich Anton von Schwarzburg-Rudolstadt, geht hervor, dass bereits der Vater Hans (Johann) Schulze Orgelbauer war und „neben kleineren Neubauten etliche Orgeln repariert hatte“. Hans Elias bat seinen Landesherrn um das Orgelmacher-Privileg: „… wie von Jugend auf neben meinem Tischler Handwerk ich auch das Orgelbauern exerciret, welches ich von meinem Vater seel erlernet hab, welcher ein guter Orgelmacher gewesen ist …“.
Von Hans Elias ist in Unterwirbach bei Rudolstadt ein heute nicht mehr vorhandener Orgelneubau von 1738 mit Rückpositiv nachweisbar. Auch zwei Söhne von Hans Elias wurden Orgelbauer: Hans Heinrich Schulze (1716-1762) wirkte in Nottleben bei Erfurt; von ihm ist aus dem Jahr 1755 in Dachwig ein Instrument belegt, das leider ebenfalls nicht erhalten ist.
Der zweite Sohn Johann Daniel Schulze (1720-1785) wirkte in dem kleinen Ort Milbitz; von ihm und seinem Sohn Johann Andreas Schulze (Milbitz 1753-1806) sind zahlreiche Neubauten belegt, teilweise sogar erhalten. Die Orgeln in Milbitz (1780:II+P/21), Quittelsdorf (1791:II+P/21) und das prächtige Gehäuse in Oberweißbach zählen heute zu den wichtigsten Zeugnissen thüringischer Orgelbauerkunst des 18. Jahrhunderts überhaupt. Die reichhaltige Disposition dieses letzteren – nicht erhaltenen – Werks vermag einen Eindruck zu vermitteln, in welchen Größenordnungen die Werkstatt Schulze schon zu dieser Zeit gebaut hat. Weitere Instrumente sind wenigstens in Teilen erhalten geblieben: ein zweimanualiges Werk von 1783 mit 17 Registern in Hochdorf bei Weimar und ein weiteres von 1798 (II+P/27) in Auleben im Kreis Nordhausen.
Mit Johann Friedrich Schulze (1793-1858 - 5. Generation) begann die eigentliche Blütezeit der Orgelwerkstatt, die nach seinem Tod unter der Leitung seiner Söhne weiterhin unter dem Namen „J. F. Schulze und Söhne“ firmierte und Weltgeltung erlangte.
Johann Friedrich verlor bereits 13jährig den Vater und erlernte das Orgelbauerhandwerk bei Johann Benjamin Witzmann (1782-1814) im nahe gelegenen Stadtilm (die Werkstatt in Stadtilm besteht noch immer – jetzt unter dem Namen Schönefeld). Witzmann wiederum war vermutlich ein Schüler J. Andreas Schulzes. Diese wechselseitige Lehrtradition wurde auch weiterhin gepflegt und so ging später Johann Benjamin Witzmanns Sohn August wiederum bei Johann Friedrich Schulze in die Lehre.
1815 übernahm Johann Friedrich die Werkstatt in Milbitz und verlegte sie nach etwa 10 Jahren in den kleinen Ort Paulinzella im Thüringer Wald, zwischen Rudolstadt, Stadtilm und Ilmenau gelegen. 1833 zog er ins benachbarte Mühlhausen, kehrte jedoch nach wenigen Jahren wieder nach Paulinzella zurück. Johann Friedrich starb am 9. Januar 1858.
Seine Söhne Edmund, Oskar und Eduard übernahmen die Leitung der Firma und waren auf dem Höhepunkt ihrer Erfolge angelangt. Aufträge aus ganz Deutschland, Russland, Italien und sogar Nord- u. Südamerika waren zu erfüllen. In den kommenden Jahren folgten einige größere Neu- und Umbauten. So wurde die Hausorgel Kennedys aus Meanwood nach einer kurzen Zwischenstation in Harrogate, durch 2 Pedalregister erweitert und in Armley aufgestellt.
Als in Paulinzella die Kunde eines Auftrages für einen Neubau einer Orgel für die Kirche in Harrogate eintraf, starb Edmund Schulze am 13. Juli 1878. Ein schlichter Grabstein auf dem Friedhof Paulinzella erinnert an Persönlichkeit und Tradition. Sein Bruder Oskar verstarb am 3. Dezember des gleichen Jahres, Eduard erkrankte während der Bauphase der Orgel im Februar 1880.
Von Johann Friedrich Schulze sind mehr als hundert Orgeln bekannt. Neben der Orgel von Armley rag(t)en heraus:
- Domorgel von Bremen (erbaut 1850, mehrfach erneuert, Klangwerk völlig verloren gegangen),
- Hauptorgel der Marienkirche zu Lübeck (1851-1854 erbaut, 1945 verbrannt),
- Orgel im Crystal Palace der Großen Industrieausstellung von 1851 in London (erbaut durch Vermittlung von Prinz Albert of Sachsen-Coburg, Kousin und seit 1840 Ehemann der Queen Victoria. 6,2 Millionen Besucher). Der Verbleib der Orgel ist nicht bekannt.
- Mehrere Orgelbauten für Lancashire and Yorkshire.
Die bedeutende Orgelbauerfamilie Schulze aus dem thüringischen Paulinzella
»Faltblatt Orgelbauer Familie Schulze Paulinzella
Quelle: www.gemeinderottenbach.de
Orgelbauerlexikon von Wolfram Hackel und Uwe Pape Forschungsstand 2012
PDF - Auszug aus Lexikon norddeutscher Orgelbauer Band 2 Sachsen und Umgebung, Hrsg. Wolfram Hackel, Uwe Pape
» Weitere Informationen über den Pape Verlag
Orgelprospekt
Rückführung des von Coudray entworfenen Orgelprospektes der Schulze-Orgel in die ursprüngliche Farbigkeit
Eine Beschreibung zum Orgelprospekt von Frau Dr. Melissa Speckhardt:
Der Innenraum zeichnet sich durch beeindruckende Klarheit in der Formengebung aus. Er verfügt über dreiseitige, an den Längsseiten angebrachte, zweigeschossige Emporen, deren Überwölbung mit einer Holztonne über dem Mittelraum endet.
Heute präsentiert sich die Farbigkeit des Kircheninnenraumes in einem über mehrere Jahre hinweg stetig veränderten Zustand, der von der ursprünglichen Farbigkeit abweicht. Dominierend hierbei ist die nun seit den 1980er Jahren die weiß-hellblaue Farbe der Emporenfrontflächen.
Im Osten befindet sich ein zweizoniger Kanzelaltar mit dreiachsiger Pilastergliederung. Die mittlere Achse ist übergiebelt und mit einer Christusfigur bekrönt, die allerdings nicht aus der Entstehungszeit herrührt.
Erste Untersuchungen bestätigen eine klassische Ausmalung der Räume in Weiß-, Ocker- und kräftigen Grüntönen (Türen). Die Farben imitieren natürliche Werkstoffe wie unterschiedliche Steinarten. Der Kanzelaltar trägt eine großflächige Weißfassung mit ursprünglichen und heute noch sichtbaren, sehr detailliert in Ocker- und Gelbtönen aufgemalten Ornamentbändern.
An der gegenüberliegenden Seite, im Westen, thront auf der unteren Empore die große Orgel von Johann Friedrich Schulze aus Paulinzella, 1827 fertiggestellt, „mit einem der schönsten klassizistischen Orgelprospekte Thüringens“1 .
Der aus heimischem Nadelholz gearbeitete Orgelspropekt Schulzes verfügt sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Ausrichtung über einen dreizonigen Aufbau, der sich über zwei Gesimsabschlüsse und den mittleren Bereich mit Spieltischbereich definiert.
Sämtliche Ornamente, das Schleierwerk und beide bekrönende Engel verfügen über einen filigran gearbeitete aufgedoppelte Brettkonstruktion von nur wenigen Zentimetern. Applikationen und Architektur sind miteinander verleimt und unter anderem mit feinen Holzdübeln und Steckverbindungen verbunden.
Erstfassung und Überarbeitungen: Anhand von fotografischen Aufnahmen aus dem Jahr 1971 und restauratorischen Befunden, kann eindeutig gesagt werden, dass die ursprüngliche, rein weiße Farbigkeit des Orgelprospektes von 1826/1827 zumindest bis ins Jahr 1971 ganzflächig sichtbar und gut erhalten war. Innerhalb der Fassung gab es ursprünglich keine Differenzierungen, wie man sie heute im Bereich der Embleme und Herrscherattribute in den drei Lorbeerkränzen (Gold und Polychromie) wahrnehmen kann.
Der ursprüngliche Fassungsaufbau besteht aus mehreren Kreideschichten, deren Oberfläche mit einem Stein sehr akribisch und auf Hochglanz poliert wurde. Einzelne Hinweise lassen auf die Anwesenheit eines öligen Bindemittels schließen. Zu vermuten ist eine Tempera mit öligen Anteilen, da die originalen Schichten wasserlöslich sind.
Dunkel heben sich vom Weiß im lasierten Holzfarbton die beiden Registerflächen ab.
Die Orgel wurde laut einer Aufschrift am Aufsatz 1983-1984 mit zwei sehr dicken, unlöslichen Anstrichen versehen, die die feine und filigrane Formgebung der Schleierbretter und Ornamentik stark verunklären. Sie verursachten des Weiteren sehr viele Spannungen, sodass sich die originalen Farbschichten großflächig vom Untergrund lösten und heute lose aufstehen.
Das Thüringer Amt für Denkmalpflege und Archeologie beschäftigt sich auch mit der historischen Weißfassungen von Orgelprospekten als wirksames Gestaltungselement in Kirchen.
In der kleinen Ausarbeitung von Dipl.Restaurator Uwe Wagner zum bevorstehenden Abschluß der Orgelrestaurierung ,der 1821 von Johann Friedrich Schulze errichteten Allendorfer Orgel, wird auch auf die 1827 entstandene Orgel in Rastenberg,mit einem ursprüngliche Weißfassung des von Architekten der Kirche (Clemen Wenzeslaus Coudray) entworfenen klassizistischen Orgelprospektes, verwiesen.
Der Rastenberger Orgelprospekt wird in enger Zusammenarbeit mit dem TLDA in dieser historische Glanzfassung wieder beeindrucken.
Die Ausarbeitung kann »Hier als PDF heruntergeladen werden.
- 1 Dehio, Georg: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Thüringen, 2003. S. 982